temporary stories (labor G.RAS), 2000
Drei Kurz-Choreografien der Tänzer/Choreografen Rebecca Hilton, David Hernandez und Richard Siegal bilden die abendfüllende Produktion „temporary stories“, die im Jahr 2000 ihre Premieren in Deutschland (Kampnagel, Hamburg) und der Schweiz (Kurtheater Baden) feierte.
labor G. RAS, in der damaligen Formation zu dritt (Renate Graziadei, Arthur Stäldi, Susanne Braun) hatte sich zur Zusammenarbeit mit diesen drei Tänzern/Choreografen entschieden, da sie vom tänzerischen Hintergrund her alle von der amerikanischen Tradition beeinflusst und gleichzeitig durch ihre bisherigen Laufbahnen völlig verschiedene Wege gegangen sind. Die unterschiedliche Prägung durch ihre Zusammenarbeit mit den für die heutige, zeitgenössische Tanzentwicklung wichtigen Choreografen Stephen Petronio (Rebecca Hilton), Meg Stuart (David Hernandez) und William Forsythe (Richard Siegal) machte es spannend, zu sehen, wie Verbindungen zu spüren waren oder wo sie sich davon lösten und neue Wege aufzeigten. Für das Publikum war besonders interessant, dass Ausschnitte aus dem Prozess der Zusammenarbeit grundsätzlich am Ende jeder Phase in öffentlichen Werkschauen auf Kampnagel (Hamburg) und im Tanzhaus Wasserwerk (Zürich) präsentiert wurden.
 „Quietlife“ (Rebecca Hilton):
Tanz interessiert mich, weil er in Zusammenarbeit mit anderen entsteht. Es ist unmöglich, einen Prozess, der andere Menschen mit einbezieht, vollständig zu kontrollieren. Eines der besonderen Dinge beim Tanz ist seine Abhängigkeit von der Interpretation der choreografischen Ideen durch die Tänzer. Mit labor G. RAS zu arbeiten, gab mir die Möglichkeit, meinen Prozess mit ähnlich denkenden Menschen aus einer anderen Kultur zu entwickeln. Die verschiedenen Geschichten, Philosophien und individuellen Herangehensweisen bereiteten ein Umfeld, in dem man weit über das Gewöhnliche hinausgehen und Veränderung bewirken konnte.
Anfangs war ich fasziniert von der Idee des Raumes als einem offensichtlichen, greifbaren „Ding“, das durch Menschen und Dinge definiert wird. Das daraus resultierende Stück „Quietlife“ ist eine Untersuchung der Resonanz des Raumes und der emotionalen Architektur der Räume zwischen den Tänzern. Im Verlauf des Stückes nehmen sich die drei Performer Raum, bewegen sich voneinander weg und werden nur durch die Bühnengrenzen aufgehalten. Das Bewegungsvokabular, vom komplexen zum schlichten, überlagert sich und schafft immer neue Bezüge. Daraus entsteht eine sich stetig verändernde „Welt“, in der „Erzählung“ fragmentiert, Bedeutung mehrschichtig ist und sich die Individualität des Einzelnen enthüllt.
Rebecca Hilton:
Die australische Tänzerin, Choreographin und Pädagogin Rebecca Hilton war von 1988-1996 Mitglied der Stephen Petronio Company in New York. Darüber hinaus hatte sie Gast-Auftritte bei Michael Clark, Tere O’Conner, Jennifer Monson und Lucy Guerin. Rebecca unterrichtet in den USA und in Europa. Sie war choreographische Assistentin beim Berliner Opernballett und dem Ballett der Oper Lyon. Ihre Choreografien wurden in den USA, Australien und Südamerika präsentiert.

„x (angels) you may not have considered“ (Richard Siegal):
Richard Siegal’s Stil erscheint leicht und vielgesichtig, aber die Proben sind Schwerstarbeit für die Tänzer. Seine Bewegungen sind schnell, nuanciert, hochkomplex. „Can you do this“? ein vielgehörter Satz. Siegal hat ein besonderes Gespür für die Komplexität von Bewegung, für die vielen Bedeutungsmöglichkeiten, die einer einzigen Bewegung innewohnen. Von der Bewegung geht er aus, beginnt, „Bedeutung“ oder „Emotion“ aus ihr zu entwickeln. Zu einer Komposition, die eigens für dieses Stück von Bruce Gremo erarbeitet wurde, entstand ein Trio, das im weitesten Sinn von Distanz und Nähe erzählt.
Richard Siegal:
Der Amerikaner Richard Siegal arbeitete zunächst als freier Tänzer in New York, bevor er 1993 festes Mitglied der „Doug Elkins Dance Company“ wurde. 1997 wurde Richard von William Forsythe ans Ballett Frankfurt engagiert. Eigene Choreographien konnte er in den USA, Wien und Frankfurt präsentieren.
Bruce Gremo (Musik): Das Werk des Komponisten und Performers Bruce Gremo vereint Komposition, Improvisation und interaktive Arbeit mit dem Computer.  Er studierte Komposition und Philosophie, gehört aber auch seit zehn Jahren zur „downtown“ – Improvisationsszene in New York. Als klassischer Orchestermusiker und Solo-Flötist war Bruce Gremo auf mehreren namhaften Festivals zu Gast. Für „x (angels) ...“ schuf Gremo eines Musik, die häufig „natürliche“ Geräusche simuliert und elektronisch verfremdet. Die Klänge kommen alle aus einer Art „Ferne“, sind mehrdeutig, unscharf, und scheinen, durch viele verschieden platzierte Lautsprecher, von überall zu kommen.

 „Quartett“ (David Hernandez):
Der Hagel der Bilder beschreibt ein spezifisches Universum von Dreien. Die Logik der physischen Ereignisse ist ein Konstruktion, um die Phantasie des Zuschauers anzuregen – ihn zu inspirieren, seine eigene Realität zu schaffen. Wir können diese drei Persönlichkeiten als spezifische Individuen sehen, aber auch als Teil einer universellen Einheit, die sie durch ihre Existenz und Interaktion schaffen. Jede Bewegung hat eine Konsequenz. Es existiert nichts, das nicht seinen Grund oder Effekt in den Aktionen der Drei hat oder in der unsichtbaren Präsenz einer Kraft, die auf sie wirkt. Geschichten tauchen bruchstückhaft auf, Situationen entstehen, aber wir finden nie zu ihrem Anfang oder Ende, nur zu blitzhaften Momenten, die ein Bild entzünden, die Licht auf Teile einer Logik werfen, die durch die Verwebung dieser drei Leben geschaffen wird. Manchmal arbeiten sie als Partner, dann als Surrogate, dann als Dekor, Hintergrund, Requisit für die Geschichte eines anderen. Der Fokus „zoomt“ dauernd, spezifische Aktionen beginnen und werden dann abstrakt, Beziehungen entwickeln sich und werden verzerrt, dekonstruiert oder manipuliert wie ein Photo oder Objekt. Wir können ein Netz verschiedener Schichten von Existenzen sehen. Bilder, Töne, Körper, Stoff, Licht, Bewegung – Situationen werden in ein feines Webtuch von Beziehungen geschichtet, von denen wir nur einen Ausschnitt, einen Moment sehen und den Rest annehmen müssen.
David Hernandez:
David Hernandez studierte Musik an der Universität Miami und Tanz an der New World School of the Arts. In den USA arbeitete er unter anderem mit Randy Warshaw und Trisha Brown. Anfang der 90er Jahre verlagerte David seinen Lebensschwerpunkt nach Europa, wo er Meg Stuart mit der Etablierung von „Damaged Goods“ in Brüssel unterstützte. Er arbeitete vier Jahre bei „Damaged Goods“, schuf daneben aber auch eigene Choreografien und unterrichtete bei Michele Anne De Mey, Wim Vandekeybus, ROSAS und der angeschlossenen Institution P.A.R.T.S sowie bei zahlreichen Festivals als Workshop-Dozent.

Weitere Informationen zu Renate Graziadei, Arthur Stäldi und dem heute in Berlin tätigen Kollektiv LaborGras unter: www.laborgras.com.